künstlich erzeugte Luftröhre

Regenerative Medizin

Eine künstlich erzeugte Luftröhre aus dem Bioreaktor, hergestellt mit körpereigenen Stammzellen – so sieht die Medizin von morgen aus. Die Regenerative Medizin nutzt die Regenerationsfähigkeit des Körpers oder ersetzt krankes Gewebe durch künstlich erzeugtes gesundes Gewebe nach dem Motto: Heilen statt reparieren.

Viele Menschen sind nach einer Krankheit oder einem Unfall auf neues Gewebe oder sogar ganze Organe angewiesen. Die Regenerative Medizin (lat. regeneratio = Neuentstehung) hat sich zum Ziel gesetzt, funktionsgestörte Zellen wiederherzustellen und neues Gewebe zu züchten. In ferner Zukunft sollen so sogar ganze Organe gezüchtet werden. Dadurch erhofft man sich, Krankheiten wie zum Beispiel Parkinson, Leukämien, Herzinfarkt oder auch Verletzungen zu heilen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Ansätzen, welche auf die Reparatur geschädigter Gewebe abzielen, geht es der Regenerativen Medizin um eine Neuentstehung von Geweben – ein revolutionär neuer Ansatz in der Biomedizin. Darüber hinaus spielt die Regenerative Medizin eine immer grössere Rolle in der Pharma- und Kosmetikindustrie. Der Einsatz von künstlich hergestellten Hautzellen erlaubt es z. B., neue Wirkstoffe zu testen und so weniger Tierversuche notwendig zu machen.

Die Regenerative Medizin ist ein multidisziplinäres Fachgebiet, in dem Biologen, Materialwissenschaftler, Bioinformatiker und Ingenieure eng zusammenarbeiten. Man unterscheidet vier verschiedene Regenerationstechnologien: körpereigene Regeneration, Zelltherapie, Tissue Engineering (siehe unten) und Gentherapie. Als Modellorganismen für die Erforschung der Grundlagen der Regenerationsfähigkeit dienen Organismen wie zum Beispiel das Axolotl (eine Salamanderart) oder der Zebrafisch. Diese sind Meister der Regenerationsfähigkeit und können Teile des Gehirns oder komplette Gliedmassen nachwachsen lassen. Die gewonnenen Erkenntnisse lassen sich zum Teil auf den Menschen übertragen.

Um die Grundlagenforschung mit der klinischen Anwendung zu vereinen und um die klinische Forschung in der Schweiz weiter voranzutreiben, wurde am 1. November 2011 in Zürich ein (über-) regionales Kompetenzzentrum für Regenerative Medizin eröffnet. Dies ist ein wichtiger Schritt, um die Regenerative Medizin in der Schweiz zu etablieren und die daraus entstandenen medizinischen Errungenschaften im Alltag anwenden zu können. Der Traum von einem Ersatzteillager für funktionsgestörte Organe bleibt jedoch vorerst Utopie.

Körpereigene Regeneration und Zelltherapie

Im Jahr 1986 wurde die allogene Stammzelltransplantation zum ersten Mal mit Erfolg zur Behandlung von X-SCID, einer Immunschwächekrankheit, eingesetzt. Heute ist der Einsatz von Stammzellen aus dem Knochenmark eines gesunden, immunologisch passenden Spenders zur Heilung von Leukämien klinische Routine. Darüber hinaus gibt es eine Bandbreite an Krankheiten, bei welchen mit Hilfe von Stammzellen nach einer Heilungsmöglichkeit gesucht wird. Für einige laufen bereits klinische Studien. Dabei richtet die Forschung ihr Augenmerk insbesondere auf die Zellen, welche eine geringe Regenerationsfähigkeit besitzen.

Manche unserer über 200 verschiedenen Körperzellen haben erstaunliche Regenerationskräfte. Unsere komplette Hautoberfläche erneuert sich in nur zwei Wochen und auch unsere Darm-, Leber- und Knochenmarkzellen sind sehr regenerativ. Andere Körperteile, wie beispielsweise Herzzellen, Knochen oder Knorpel, besitzen nur eine geringe Regenerationsfähigkeit.

Ein Beispiel für den Einsatz von Stammzellen sind daher Erkrankungen des Herzens. Bei einem Herzinfarkt werden Herzmuskelzellen dauerhaft zerstört. Eine Möglichkeit, die Leistung des Herzens wieder zu verbessern, könnte darin liegen, adulte Stammzellen aus dem Knochenmark in den Randbereich des defekten Herzmuskels zu injizieren. Obwohl die zerstörten Zellen so nicht ersetzt werden können, wurde in einer klinischen Studie (PERFECT-Studie) gezeigt, dass die körpereigenen Reparaturmechanismen aktiviert und dadurch die Leistung des Herzens verbessert werden kann. Die Anwendung von adulten Stammzellen zur Herzregeneration ist allerdings sehr umstritten.

Im Gegensatz zur Züchtung von Herzzellen ist die Züchtung von Knorpel im Labor für die Heilung von Meniskus- oder Bandscheibenschäden relativ fortgeschritten und wird bereits in der Praxis angewendet.

Anders ist es bei Knochen. Speziell bei älteren Menschen ist die Regenerationsfähigkeit des Knochens stark verlangsamt. Hier forscht man derzeit an adulten Stammzellen aus dem Knochenmark, um Knochenbrüche heilen zu können. Erste Therapien mit Stammzellen, welche bei älteren Menschen in den verletzten Knochen injiziert wurden, zeigten eine positive Wirkung. Da die verwendeten Stammzellen der Patienten jedoch mitgealtert und daher nur eingeschränkt regenerationsfähig sind, muss die Methodik noch optimiert werden.

Ähnliche Therapien mit embryonalen Stammzellen für die Behandlung von Parkinson, Diabetes oder Schlaganfall sind derzeit in der Testphase und zeigen vielversprechende Ergebnisse. Bevor diese jedoch an Patienten getestet werden können, bedarf es weiterer Studien.

Bioreaktoren dienen als Brutstätte für künstlich erzeugtes Gewebe. Sie ermöglichen die Regelung von Temperatur,PH-Wert und einer optimalen Nährlösung. Mechanischer und chemischer Stress sorgen darüber hinaus dafür, dass die Zellen den im Körper ausgesetzten Belastungen standhalten können. Sie legen daher den Grundstein, um eine Vielzahl der 200 verschiedenen Körperzellen überhaupt herstellen zu können.

Tissue Engineering

In den 80er Jahren erlebte das Tissue Engineering einen Aufschwung, denn zum ersten Mal war es möglich, lebendes menschliches Gewebe – künstliche Haut – herzustellen. Heute wird diese künstliche Haut aus Haaren oder kleinen Hautstücken hergestellt und z. B. bei Patienten mit schweren Verbrennungen oder in der Industrie (kosmetische und pharmazeutische Tests) angewendet. Haarwurzeln besitzen adulte Stammzellen, welche in der Lage sind, Hautzellen auszubilden. Im Gegensatz zu ausdifferenzierten Hautzellen teilen sich die adulten Stammzellen der Haarwurzel wesentlich schneller und können daher auch schneller eingesetzt werden. Insbesondere bei Verbrennungsopfern ist dies ein entscheidender Vorteil. Seit 2011 gibt es in Stuttgart sogar eine vollautomatische

Produktionsanlage für 3-D-Oberhautmodelle. Künstlich produzierteHaut kann jedoch nicht bei grossflächigen Verbrennungen eingesetzt werden, da ihr Schweissdrüsen, Haarbälge und Nervenendigungen fehlen. In diesen Fällen bedient man sich der Transplantation von Ersatzhaut. Die Forschung an einem lebensechten Hautmodell laufen derzeit auf Hochtouren.

Ein weiteres Beispiel für Tissue Engineering sind künstliche Herzklappen. Herzklappen werden heute überwiegend aus körperfremden Materialien angefertigt. Da diese Herzklappen jedoch nicht mitwachsen, müssen sich vor allem Kinder immer wieder risikoreichen Operationen unterziehen. Heute wird daher intensiv an Herzklappen aus körpereigenen Materialien geforscht. Derzeit gibt es zwei verschiedene Ansätze. Zum einen werden körpereigene Zellen auf ein Gerüst aus Fibrin aufgebracht und wachsen so innert sechs Wochen zu einer voll funktionsfähigen Herzklappe heran. Eine andere Methode bedient sich einer Spender-Herzklappe, welche im Labor so weit behandelt wird, dass nur noch das Gerüst übrig bleibt. Dieses wird dann ebenfalls mit Stammzellen der Patienten besiedelt. Beide Ansätze haben sich im Tiermodell bewährt und haben die Fähigkeit, im Körper mitzuwachsen.

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