Tobias Kowatsch, Professor für Digital Health Interventions an der Universität Zürich (UZH), Direktor der School of Medicine an der Universität St.Gallen (HSG) und Scientific Director, Centre for Digital Health Interventions (UZH, HSG & ETH Zürich)
Tobias Kowatsch, Professor für Digital Health Interventions an der Universität Zürich (UZH), Direktor der School of Medicine an der Universität St.Gallen (HSG) und Scientific Director, Centre for Digital Health Interventions (UZH, HSG & ETH Zürich)
Zusammen mit Ihrem Team haben Sie mehrere digitale Gesundheitsinterventionen entwickelt und evaluiert. Was war bisher Ihre grösste Erkenntnis, insbesondere im Hinblick auf die Nutzerakzeptanz?
Tobias Kowatsch: Digitale Gesundheitsinterventionen funktionieren dann besonders gut, wenn sie Eigenschaften aufweisen, die den Menschen bereits bekannt sind. Viele unserer Smartphone-basierten Interventionen orientieren sich daher an den allseits bekannten und einfach zu nutzenden Messaging-Apps wie beispielsweise WhatsApp. Wir haben zudem mit MobileCoach (www.mobile-coach.eu) eine flexible Plattform entwickelt, die es uns erlaubt, sehr effizient Datenerhebungs- sowie Interventionsstudien in der Forschung und Lehre umzusetzen. Im Unterschied zu WhatsApp chattet man nicht nur mit einer Person, sondern vor allem auch mit einem Computerprogramm, einem sogenannten Chatbot. Gerade wenn Technologie als «sozialer Akteur, d.h. als Mitglied eines Gesundheitsteams» wahrgenommen wird, kann dies einen positiven Einfluss auf die Akzeptanz einer digitalen Gesundheitsintervention haben. So stellen sich die Chatbots häufig als "Teammitglieder «vor, beispielsweise mit dem Intro «Hallo, ich bin Maxime, die digitale Assistentin deiner Hausärztin Dr. med. Müller». Wenn zudem unsere imaginäre Ärztin Frau Dr. Müller zum Patienten sagt, dass die nächsten Schritte der Behandlung von der digitalen Assistentin Maxime übernommen werden, die digitale Gesundheitsintervention also im Rahmen einer bestehenden Therapie eingeführt wird, werden umso bessere Ergebnisse erzielt. Die Patienten akzeptieren dann auch eher, dass Daten gesammelt werden, da diese in die ihnen bereits bekannte Therapie einfliessen und so zukünftige Sprechstunden effizienter oder teilweise sogar – wenn alles wie geplant verläuft – obsolet machen. So haben medizinische Fachkräfte potentiell mehr Zeit für Patienten, bei welchen die digitale Assistentin Maxime nicht so gut funktioniert.
Glauben Sie, dass Technologien wie diese in Zukunft eine entscheidende Rolle im Gesundheitswesen spielen werden?
Oder allgemeiner gesprochen, was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entwicklungen in Ihrem Forschungsgebiet in den nächsten Jahren?
Tobias Kowatsch: Aktuell sind Chatbots textbasiert. Insbesondere in einer alternden Gesellschaft ist das aber ein Problem, da ältere Personen häufig Schwierigkeiten damit haben, Texte ins Smartphone oder Tablet einzutippen. Als nächsten Schritt sehe ich daher die Interaktion mit Sprachassistenten. Ein weiterer Trend, der im asiatischen Raum zu beobachten ist, sind «Friendly Healthcare Robots» welche vor allem auch physisch anstrengende Tätigkeiten, z.B. in der Pflege, übernehmen können. Diese Roboter können in Zukunft gleichzeitig auch wichtige soziale Interaktionen erlauben, beispielsweise Videokonferenzen mit Familienmitgliedern ermöglichen, so wie wir es heute schon mit den Smartphones und Tablets kennen.
In der Schweiz sind viele Menschen zögerlich, wenn es um die Weitergabe ihrer medizinischen Daten geht. Wie könnten solche Bedenken aus dem Weg geräumt werden?
Tobias Kowatsch: Wichtig sind klare datenschutzrechtliche Richtlinien und eine transparente Regulatorik für eine effiziente Implementierung digitaler Gesundheitsinterventionen im Schweizer Gesundheitssystem inkl. Abrechenbarkeit. In Deutschland gibt es ein solches transparentes Vorgehen für das Verschreiben und Abrechnen so genannter «digitalen Gesundheitsanwendungen (DIGAs)[KT1] ». Um beispielsweise in der entsprechenden DIGA-Liste aufgenommen zu werden, müssen klare datenschutzrechtliche Anforderungen eingehalten werden. Wichtig ist dabei unter anderem der Aspekt, dass die Datenspeicherung immer im jeweiligen Land vorgenommen werden muss. Zudem ist nicht nur das Vertrauen der Bevölkerung, sondern auch jenes der Ärztinnen und Ärzte sehr wichtig. Wenn die medizinischen Fachexpertinnen ein Vorgehen unterstützen, erhöht dies auch die Akzeptanz bei der Bevölkerung. Hier sollten wir in der Schweiz zudem noch einen Schritt weiterdenken und eine Regulatorik für digitale Gesundheitsinterventionen umsetzen, welche vor allem auch die Arzt-Patienten-Beziehung im Sinne von hybriden Therapien berücksichtigt, z.B. mit einem Cockpit, in welchem relevante Gesundheitsdaten als Therapie-Unterstützung von beiden relevanten Akteuren, dem Arzt und dem Patienten, genutzt werden. Schliesslich soll der Patient über seine Daten die Hoheit haben und stets explizit zustimmen, wer welche seiner Daten einsehen und ggf. bearbeiten darf.
Was erwarten Sie von der Politik hinsichtlich Rahmenbedingungen für die Forschung?
Tobias Kowatsch: In der Schweiz wird schon gute Arbeit geleistet seitens der Politik, unter anderem durch das BAG, Gesundheitsförderung Schweiz, E-Health Suisse sowie durch die Ethikkommissionen und Swissmedic. Es ist aber zusätzlich notwendig, wenn eine transparente Forschungsinfrastruktur für die Entwicklung digitaler Therapeutika zur Verfügung steht, welche ethische, regulatorische, technische, gesundheitsökonomische und methodische Expertisen vereint. Ein solches digitales Ökosystem einer «Digital Clinical Trial Plattform & Digital Therapeutics Incubator» würde es erlauben digitale Gesundheitsinterventionen noch viel effizienter zu entwickeln und in Schweizer Gesundheitssystem – sowie darüber hinaus – zu implementieren.
Welches sind die grössten Herausforderungen im Gesundheitswesen in den nächsten Jahren? Wie könnten diese durch Technologie gelöst werden?
Tobias Kowatsch: Sicherlich ist die Alterung der Gesellschaft eine enorme Herausforderung, insbesondere auch für unser Gesundheitssystem. Ein Ansatz kann sein, die beschwerliche Zeit, die viele Menschen gerade am Lebensende aufgrund von Krankheiten haben, möglichst kurz zu halten; also das Bestreben, möglichst lange gesund zu sein, um dann relativ schnell zu sterben. Wenn ein grosser Teil der alten Menschen nur kurze Zeit auf Pflege angewiesen ist, kann dies das Gesundheitswesen massiv entlasten.
Die Prävention kann dazu einen sehr wichtigen Beitrag leisten. Sie funktioniert deswegen meist nicht besonders gut, weil «sich gesund fühlende» Menschen keinen Grund sehen, ihren Lebensstil zu verändern. Ein Anfang wäre daher, Prävention messbar zu machen. Leider ist es so, dass wir viele Prozesse im Körper gar nicht selbst spüren, beispielsweise wenn eine Entzündung entsteht. Auch wenn wir unserem Körper über längere Zeit zu viele zucker- oder salzhaltige Lebensmittel zuführen, treten nicht sofort gesundheitliche Probleme auf. Wir fördern aber schleichend die Entstehung von Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes oder Bluthochdruck. Wenn wir hier also digitale Gesundheitsinterventionen einsetzen, um «vulnerable» Gesundheitszustände oder -verhaltensweisen frühzeitig zu messen und entsprechend zeitnah eine Rückmeldung zu geben, wäre dies ein grosser Fortschritt. Hier sehe ich auch die Gesundheitspolitik in der Verantwortung: Anreizsysteme im Gesundheitssystem sollten überarbeitet werden, damit präventive Massnahmen gefördert und abrechenbar werden. Diesbezüglich ist es sinnvoll, alle Akteure einzubinden und für Menschen aller Alterskategorien attraktive Präventionsangebote zu schaffen.
Auch banal erscheinende Faktoren wie die Erhöhung der Schlafqualität oder der bewusste Umgang mit Stress können die Lebensqualität verbessern und längerfristig einen massiven Einfluss auf mentale und physische Erkrankungen haben. Technologie kann uns auch ganz allgemein dabei helfen, einen gesunden Lebensstil zu führen. Daran arbeiten wir auch intensiv im Rahmen unserer Forschungsprojekten.
Gibt es noch einen letzten Aspekt, den Sie gerne erwähnen möchten?
Tobias Kowatsch: Ich habe jetzt sehr viel über physische Gesundheit gesprochen. Gerade die COVID-19-Pandemie hat aber auch den Aspekt der mentalen Gesundheit stärker in den Fokus gerückt. Für die Prävention sind beide Bereiche sehr relevant. Meiner Meinung nach gehört aber noch ein dritter Bereich dazu, nämlich die soziale Gesundheit. Das Thema Einsamkeit – insbesondere auch im Alter – wird stark an Relevanz gewinnen. Technologien sollten daher nicht nur dafür eingesetzt werden, dass wir uns mehr bewegen oder Meditationsübungen zum Stressabbau machen, sondern auch den sozialen Austausch fördern.