Prof. Dr. Ueli Schibler, Departement Molekularbiologie, Universität Genf
Sein heutiges Forschungsziel verdankt Ueli Schibler nach eigenen Aussagen einem glücklichen Zufall: «Zu Beginn meiner Laufbahn befasste ich mich hauptsächlich mit der Fragestellung, warum dieselben Gene in verschiedenen Körpergeweben unterschiedlich stark exprimiert sein können. So unterscheidet sich das Genmuster der Leber beispielsweise stark von dem der Niere, obwohl die genetische Information in jeder Zelle identisch ist. Die gewebespezifische Aktivität der Gene wird durch Regulationseiweisse, sogenannte Transkriptionsfaktoren, gesteuert. Mitte der 80er Jahre gelang es uns, ein biochemisches In-vitro-System zu entwickeln, das bei der Identifizierung solcher Regulatoren gute Dienste leistete.»
Anfang der 90er Jahre entdeckte das Team von Ueli Schibler einen Transkriptionsfaktor, DBP, der in der Leber häufiger vorkommt als in anderen Geweben und dort leberspezifische Gene, wie das Albumin-Gen, anschaltet. Erst später fand das Team heraus, dass die Expression von DBP zusätzlich über den Tagesverlauf reguliert wird. «DBP ist während der Morgenstunden nur in geringen Spuren nachweisbar, akkumuliert jedoch über den Tag hinweg und erreicht sein Maximum, das mehr als 100 Mal grösser ist als das Minimum, gegen acht Uhr abends», erklärt Ueli Schibler. Die Forscher waren auf einen biologischen Rhythmus der Genexpression gestossen.
Viele Prozesse im Körper verlaufen nach einem Rhythmus, einer sogenannten inneren Uhr, die sich alle 24 Stunden wiederholt. Am bekanntesten sind hier der Schlaf-Wach-Rhythmus, die Regulation der Körpertemperatur sowie die Ausschüttung verschiedener Hormone. Die innere Uhr, der Zirkardian-Rhythmus des menschlichen Organismus, wird von einer Hirnregion, dem suprachiasmatischen Nukleus (SCN), gesteuert und ist eng an die Empfindungen der Augen gekoppelt. Über Hell- und Dunkelperioden reguliert er Wach- und Schlafzustände sowie die Körperfunktionen. Ende der 90er Jahre endeckten Schibler und seine Mitarbeiter, dass zirkadiane Uhren nicht nur in Nervenzellen des SCN existieren, sondern in fast allen Körperzellen – sogar in in vitro gezüchteten Hautzellen. In Körperorganen wie der Leber und der Bauchspeicheldrüse regulieren diese Uhren beispielsweise die Produktion und Ausschüttung von Verdauungsenzymen. «Damit diese Zelluhren jedoch im Takt bleiben, benötigen sie die Hauptuhr», betont Ueli Schibler.
Ein Experiment des Forscherteams um Ueli Schibler verdeutlicht dieses Prinzip. Die Forscher setzten Mäusen, die von Haus aus nachtaktiv sind, zu verschiedenen Zeiten Futter vor. Bekamen Mäuse entgegen ihres natürlichen Rhythmus tagsüber Futter angeboten, so verschoben sich die Rhythmen der Uhrengene um 12 Stunden. Als Folge davon änderte sich auch die Phase der Verdauung von der Nacht auf den Tag. «Der Rhythmus der Hauptuhr blieb jedoch unverändert. Daraus ergibt sich, dass die peripheren Uhren der Organe unabhängig agieren können», erläutert Ueli Schibler. Über einen längeren Zeitraum kommt es so zu einer Entkopplung der peripheren Uhren von der Hauptuhr, die Harmonie der Körperfunktionen kann dadurch gestört werden. Menschen in Schichtarbeit können davon betroffen sein, im Vergleich zu ihren Kollegen erkranken sie überdurchschnittlich oft.
Ueli Schibler wurde in Olten geboren und studierte Biologie an der Universität Bern. Nach Abschluss seiner Doktorarbeit unter der Leitung von Prof. R. Weber in Bern ging er 1975 als Postdoctoral Fellow an das Fox Chase Cancer Center nach Philadelphia. 1978 kehrte er in die Schweiz zurück und wurde Gruppenleiter am Swiss Institute for Experimental Cancer Research (ISREC) in Lausanne. Seit 1984 ist Ueli Schibler Professor im Departement für Molekularbiologie an der Universität Genf und Mitglied des National Center for Competence in Research sowie des SytemsX.ch-Programms CycliX.