Prof. Pedro Beltrao
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Prof. Pedro Beltrao, Institut für Molekulare Systembiologie, ETH Zürich

Prof. Pedro Beltrao und sein Team haben sich zum Ziel gesetzt, die genetischen Grundlagen menschlicher Krankheiten oder Unterschiede in Merkmalen wie Größe oder Gewicht zu verstehen. Dabei konzentrieren sie sich auf die zellulären Folgen der genetischen Variation. Neben experimentellen Methoden setzt das Team computergestützte Methoden wie das maschinelle Lernen ein. Die Entschlüsselung, wie genetische Variation zu Veränderungen von Merkmalen führt, bildet die Grundlage für neuartige Therapien. Wir durften Prof. Beltrao einige Fragen stellen.

 1.   In den letzten Jahren haben Sie sich mit den Auswirkungen genetischer Variationen auf die Entstehung von Krankheiten beschäftigt. Wie würden Sie dieses Thema der Öffentlichkeit erklären?
 
Pedro Beltrao: Hierbei handelt es sich um ein grosses Forschungsgebiet mit vielen Aspekten. Ein wichtiger Grundstein ist meines Erachtens, dass die Kosten für die Sequenzierung eines Genoms rapide gesunken sind. Die Bestimmung der Abfolge der gesamten Erbinformation eines Menschen könnte schon bald weniger als 100 Franken kosten. Das bedeutet, dass die Sequenzierung bald bei allen Krankheiten mit einer möglichen genetischen Ursache zu einem günstigen Diagnostik-Tool wird.
 
Natürlich gibt es viele Krankheiten, die auf die Umwelt und die Umgebung, welcher man ausgesetzt ist, zurückzuführen sind. Aber es gibt eben auch viele Krankheiten, die genetisch, also über die DNA, vererbt werden. Als Beispiele können seltene Krankheiten oder Krebs genannt werden, wo es starke genetische Komponente gibt. Gerade bei seltenen Krankheiten ist die Diagnose mittels Genomsequenzierung sehr kosteneffizient. Zudem kann die Diagnose im Idealfall dann direkt zu einer spezifischen Therapie führen. In solchen Fällen ist es auch aus Sicht des gesamten Gesundheitssystems sehr hilfreich, dass die Genomsequenzierung als Standard Diagnosetool zur Verfügung steht.

 

2.   Seit Beginn dieses Jahres arbeiten Sie am «Institut für Molekulare Systembiologie» der ETH Zürich. Wie hat sich der Umzug in die Schweiz und die Tätigkeit an der ETH bisher auf Ihre Forschung ausgewirkt?
 
Pedro Beltrao: Die Schweiz ist ein fantastischer Ort, um Forschung zu betreiben. Aber nicht nur für die Arbeit, auch für die Familie ist es ein grossartiges Land. Die Entscheidung, in die Schweiz zu kommen, fiel mir daher ziemlich leicht. Natürlich ist aber auch die Anbindung an die globale Wissenschaftscommunity wichtig; aber das ist heute dank dem Internet ja einfacher denn je.  
 
Einen Aspekt gibt es jedoch, welcher sich ändern sollte: Die Sicht auf die Humangenetik und deren Informationsfluss, also die Patientendaten. Denn dadurch wird das Gesundheitswesen massgeblich beeinflusst. Die Schweiz ist ein kleines Land, weshalb auch die Patientenkohorten klein und ziemlich fragmentiert sind. Die Informationen werden nicht kantonsübergreifend weitergegeben; auch der Austausch zwischen verschiedenen Institutionen und Gesundheitseinrichtungen ist häufig mangelhaft.
Patientinnen und Patienten sollten sich bewusst sein, was dieser fehlende Datenfluss für die Gesundheitsversorgung bedeutet. Vielen Menschen ist der Mehrwert des Datenaustausches nicht klar. Wenn beispielsweise nur schon die Familie eines kranken Kindes von anderen betroffenen Familien derselben Krankheit erfährt, kann dies von grosser Bedeutung sein.

 

3. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entwicklungen in Ihrem Forschungsgebiet in den nächsten Jahren?
 
Pedro Beltrao: Nicht nur die Genomsequenzierung, sondern auch viele andere Laboranalysen werden immer einfacher und günstiger, beispielsweise die Entnahme einer Blutprobe und die Messung verschiedener Proteine. Man kann mehr Faktoren mittels einer einzigen Messung analysieren und sich stärker auf die Frage der Interpretation konzentrieren.
 
Auch im Bereich des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz gibt es viele Entwicklungen. Wenn Forschende zum Beispiel feststellen, dass eine bestimmte Mutation in der DNA einer Person vorkommt, möchten sie auch herausfinden, was diese Mutation mit den Zellen der betroffenen Person macht. Solche Analysen sind durch Entwicklungen im Bereich des maschinellen Lernens bereits jetzt viel einfacher geworden und werden in Zukunft noch stärker optimiert werden können.
 
Mit verbesserten KI-Methoden können genau analysieren, was sich in den Proteinen innerhalb der Zellen verändert. Das macht es auch einfacher, Behandlungsoptionen zu finden. Ich bin daher wie erwähnt der Meinung, dass die Genomsequenzierung bald zu einem Routine-Diagnoseinstrument wird. Bei dem Tempo, in dem die Preise für die DNA-Sequenzierung sinken, ist das aus Sicht des Gesundheitswesens fast ein Selbstläufer. Was den Schutz der Privatsphäre und die entsprechenden Sorgen der Menschen angeht, ist natürlich eine andere Geschichte. Aber ich denke schon, dass die Trends, die wir zum Beispiel in den skandinavischen Ländern und im Vereinigten Königreich sehen, in die entsprechende Richtung gehen und bald jeder sein Genom als Teil der Standard-Gesundheitsdaten sequenzieren lassen wird.

 
4. Wie würden sich diese Entwicklungen auf die Behandlung von (chronischen) Krankheiten auswirken?
 
Pedro Beltrao: Bessere Diagnosen gibt es bereits, insbesondere im Bereich der seltenen Krankheiten. Aber die Menschen durchlaufen immer noch oft eine Reihe von diagnostischen Ansätzen, und es dauert ziemlich lange, bis man herausfindet, was genau das zugrunde liegende Problem ist.
 
Ich denke, dass eine schnellere Diagnose teilweise schon einen Unterschied machen kann, denn in einigen Fällen sind die Behandlungsmöglichkeiten dann sehr klar. Wenn zum Beispiel ein Enzymdefizit vorliegt, kann man einfach die Ernährung entsprechend supplementieren. Aber natürlich ist es nicht immer so einfach. Selbst wenn man eine Diagnose hat, gibt es häufig noch keine Behandlungsmöglichkeiten.
 
In der Forschung gelingt es jedoch immer besser, Krankheiten im Labor zu modellieren. Ein Beispiel sind die Zell-Organoid-Modelle. Dabei handelt es sich um organähnliche Strukturen, welche im Labor erzeugt werden können. Man kann eine bestimmte Mutation, die mit einer Krankheit verknüpft ist, im Labor in 3D modellieren, analysieren, und Behandlungsmöglichkeiten testen, um die mit der Mutation verbundene Krankheit besser zu verstehen. Es wird noch einige Zeit dauern, bis auf Basis solcher Analysen konkrete Behandlungsmöglichkeiten entwickelt werden können. Wenn man jedoch weiss, welche Prozesse bei einer Krankheit ablaufen, ist es natürlich viel einfacher, neue Therapien zu entwickeln.  
 
 
5. Was erwarten Sie von der Politik hinsichtlich Rahmenbedingungen für die Forschung? 
 
Pedro Beltrao: Man sollte der Bevölkerung aufzeigen, dass die Weitergabe von genomischen Informationen und allgemeiner Gesundheitsdaten an die Forschung in Zukunft der Gesamtbevölkerung helfen könnte. Ich finde es teilweise komisch, dass Menschen ständig in den sozialen Medien aktiv sind, wo zum Beispiel Facebook und Google fast alles über sie herausfinden können, weil sie sich entscheiden, ihre Informationen zu teilen. Gleichzeitig machen sie sich aber grosse Sorgen über die Weitergabe ihres Genoms oder anderer Gesundheitsdaten an Forschende.
 
Auch Forschende selber sind teilweise besorgt über die Weitergabe ihrer Daten, was häufig auf berufliche Gründe zurückzuführen ist. Sie befürchten, dass andere Teams mit den von ihnen gesammelten Daten schneller zu einer Lösung kommen könnten.
 
Es gibt also diverse Bereiche, in denen wir Anreize für die Weitergabe von Gesundheitsdaten brauchen – zum Wohle der Patienten und des Gesundheitswesens als Ganzes.

Ender Konukoglu, Associate Professor für Biomedical Image Computing an der ETH Zürich

Prof. Pedro Beltrao

Prof. Pedro Beltrao, Institut für Molekulare Systembiologie, ETH Zürich

Tobias Kowatsch, Professor für Digital Health Interventions an der Universität Zürich (UZH), Direktor der School of Medicine an der Universität St.Gallen (HSG) und Scientific Director, Centre for Digital Health Interventions (UZH, HSG & ETH Zürich)

Janna Hastings, Professorin für «Medical Knowledge and Decision Support» (Brückenprofessur der Universität Zürich und der Universität St. Gallen)